Landesparteitag der Bremer Linken am 15. November 2025
Einige Delegierte waren verwirrt: Warum hingen ver.di-Fahnen vor dem Nachbarschaftshaus im Arbeiter*innenstadtteil Bremen-Gröpelingen, in dem der Landesparteitag der Bremer Linken tagte? Die Kolleg*innen, die sie dort aufgehängt hatten, protestierten gegen die Erhöhung der Arbeitszeit für Beamt*innen auf 41 Wochenstunden ohne Lohnausgleich, die der Bremer Senat unter Linker Beteiligung für sie vorsieht.
Von Sebastian Rave und Moritz Menzel
In ihrem Grußwort sparten die ver.di-Kolleg*innen nicht an Kritik: Der Angriff auf den 8-Stunden-Tag durch eine linke Partei sei ein fatales Signal. Andreas Strassemeier, der als Ausbilder in einer Bremer JVA arbeitet, rief unter lautem Applaus: “Hört auf uns zu erzählen, dass ihr Bauchschmerzen mit dieser Entscheidung habt. Es sind die überarbeiteten Kolleginnen und Kollegen, die wirklich unter Bauchschmerzen leiden!”
Im kleinsten Bundesland regiert seit 2019 eine rot-grün-rote Koalition unter SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Der ersten Regierungsbeteiligung der Linken in einem westdeutschen Bundesland waren damals heftige Auseinandersetzungen im Landesverband vorausgegangen. Seitdem gibt es eine relativ stabile Mehrheit von Landesvorstand und Bürgerschaftsfraktion, die mit einem „links-pragmatischen“ Kurs das gemeinsame Regierungshandeln gegen Kritik verteidigen. Linke Kritiker*innen der Regierungsbeteiligung bemängeln u.a., dass sich unter Rot-Grün-Rot an der hohen Armut in Bremen nichts geändert hat, die Rüstungsindustrie weiter aufgebaut wird, und die Schließung des Klinikums Links der Weser mitgetragen wird.
Bisher waren diese Kritiker*innen aber in der Minderheit. Als Partei in Regierungsverantwortung waren die Landesparteitage der Bremer Linken nur noch selten Orte des politischen Streits. Stattdessen entstand häufig der Eindruck, dass Bürgerschaftsfraktion, Landesvorstand und Senat mittels Schaufensteranträgen, Selbstbeweihräucherung und Totschweigen der wichtigsten Debatten versuchen, die eigene Politik nach außen weiter ungestört zu vertreten. Spätestens mit der Bundesratszustimmung zum Sondervermögen der Bundesregierung, von dem sich die Linken Senatorinnen eine Finanzspritze für den angespannten Landeshaushalt versprechen, wird an der Basis allerdings wieder offen an der Regierungsbeteiligung gezweifelt: Landesvorstand und Fraktion tun sich schwer, den hunderten Neumitgliedern ihre widersprüchliche Politik schmackhaft zu machen. Die Kräfteverhältnisse verändern sich.
Dass antimilitaristische Stimmen im Landesverband wieder lauter werden, zeigte sich bereits in der Debatte um den Leitantrag: Der Landesvorstand begrüßt darin die zusätzlichen Haushaltsmittel, die durch das sog.Sondervermögen Infrastruktur und die Aufweichung der Schuldenbremse zur Ausstattung der Bundeswehr dem Land Bremen zugutekommen. Dabei „vergaß“ der Landesvorstand, den Zweck dieser Investitionen klar zu benennen: Die Militarisierung der Bundesrepublik. Ein schlichter Änderungsantrag, der diesem Umstand Rechnung tragen sollte, scheiterte haarscharf mit 20 zu 21 Stimmen. Gegenwind zum Änderungsvorschlag gab es vor allem aus der Bürgerschaftsfraktion und dem Landesvorstand.
Die Debatte über Gaza wurde sehr hitzig geführt. Ein Antrag der LAG Palästina/Westasien, der die Bremer Bundesratsmitglieder dazu auffordert, sich für humanitäre Hilfe, ein Aufnahmeprogramm für Menschen aus Palästina und ein Waffenembargo einzusetzen, wurde mit einigen Entschärfungen angenommen – die Bundesratsmitglieder wurden allerdings von ihrer Verantwortung weitestgehend entlassen, andere Formulierungen etwas abgeschwächt. Trotzdem: Das ist der erste eindeutig pro-palästinensische Beschluss der Bremer Linken seit Beginn der israelischen Bodenoffensive in Gaza. Too late, too little, aber immerhin.
Eine absurde Wendung nahm die Palästina-Debatte, als es um einen Initiativantrag des Landesvorstands zur Linksjugend [’solid] ging. Darin zeigte man sich „besorgt“ über den jüngsten Beschluss der Parteijugend zu Palästina auf Bundesebene und warf den jungen Genoss*innen „ein autoritäres Politikverständnis“ vor. Der eigene Antrag musste von der Landessprecherin Anna Fischer noch nachträglich verändert werden, da er Zitate aus dem Beschluss heranzieht, die so gar nicht im Text vorkommen. Dass es aufgrund des Beschlusses im Vorhinein eine Diffamierungskampagne der Springer-Presse gegen den eigenen Jugendverband gegeben hatte, in die man sich mit diesem Initiativantrag unkritisch einreihte, schien den Antragsteller*innen nicht viel auszumachen. Nachdem sich reihenweise junge Genoss*innen empört über den Angriff zeigten, drohte die Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt wütend damit, ihre Fördermitgliedschaft für den Jugendverband zu beenden. Der Antrag wurde letztlich angenommen, die Parteijugend erfolgreich für ihren Vorstoß abgestraft.
Dieser Parteitag war der letzte, an dem die Delegierten in dieser Konstellation zusammenkamen. Noch im November gibt es in allen Kreisverbänden Mitgliederversammlungen, bei denen neue Delegierte für die nächsten zwei Jahre bestimmt werden sollen. Der nächste Landesparteitag der Linken in Bremen wird nach dem rasanten Wachstum der Partei doppelt so viele Delegierte haben, unter ihnen wahrscheinlich viele Neumitglieder. Gab es bisher Fragezeichen, wie das die politischen Mehrheiten verändert, scheint es jetzt erste Antworten zu geben: Viele der aktiven Neumitglieder sind kritischer und stehen der Programmatik der Bundespartei näher als der des Landesverbandes.
Nächstes Jahr soll auch die Liste für die Bürgerschaftswahl 2027 aufgestellt werden. Der Landesparteitag schlägt per Beschluss der Aufstellungsversammlung eine “Erneuerungsquote” vor, nach der vier der ersten 12 Listenplätze von Kandidierenden besetzt werden sollen, die bisher nicht in der Bürgerschaft sitzen. Damit soll auch auf den Unmut darüber reagiert werden, dass einige Abgeordnete schon sehr lange dabei sind, und zunehmend Widersprüche zwischen linkem Anspruch und Regierungsrealität aufkommen.
An der Debatte, ob man an der Regierungsbeteiligung festhalten will, wird der Landesverband im nächsten Jahr nicht mehr vorbeikommen. Schon im Februar 2026 wird ein neuer Landesvorstand gewählt, dessen wesentliche Aufgabe sein wird, eine Strategie für den Wahlkampf zu erarbeiten. An der Debatte werden sich unvermeidlich auch viele Neumitglieder beteiligen. Deren Stimmen finden im andauernden Richtungsstreit zur Regierungsbeteiligung bislang noch kaum Gehör. Ob das regierungskritische Lager dadurch erstmals wieder Mehrheiten auf dem Parteitag gewinnen kann, bleibt abzuwarten. Aber eins ist sicher: Die Bremer Linke steht vor einer folgenschweren Richtungsentscheidung und die Auseinandersetzung darum wird sich zuspitzen. Es ist gut möglich, dass das Gewicht der Fraktion, ihrer Mitarbeiter und dem Landesvorstand in der Partei in Zukunft deutlich abnehmen wird.
Die Streitfrage zur 40-Stunden-Woche wurde letztlich übrigens mit einem Kompromissvorschlag befriedet. Zwar konnten sich die Delegierten des Landesparteitags nicht zu einer klaren Absage über die geplante Arbeitszeiterhöhung durchringen, man wolle den Senatsbeschluss aber „einer erneuten Prüfung“ unterziehen. Der konservative Weser-Kurier prophezeite am nächsten Tag gleich eine Regierungskrise. Wir halten das für übertrieben, aber eine gewisse Regierungsmüdigkeit war auf diesem Parteitag schon zu verspüren.


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